Der Skalpell Verlag

WIR SCHNEIDEN AUF – LITERARISCHER EINGRIFF AM OFFENEN LEBEN

»...Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate.« / »...Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.«
Inschrift auf dem Tor zur Hölle. In: Dante Alighieri, Die göttliche Komödie.

Wir sind überzeugt: Eine klare Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion ist selbst Fiktion – lassen wir sie also fahren. Traum, Rausch und Wachsein, Fantasie, Wunsch, Wahrnehmung und Erinnerung sind Dimensionen unseres Erlebens, sie gehen ineinander über, ihre Grenzen sind unscharf. Insgeheim leben wir ständig im Zweifel, was an dem, was wir Realität nennen, Wunsch oder Angst ist, geträumt oder halluziniert, gesagt oder gedacht; was daran vergangen, gegenwärtig oder Ich, Du oder Wir ist. Es ist an der Zeit anzuerkennen: Unsere menschliche Wirklichkeit ist nichts als diese Verdichtung unserer Erlebensdimensionen, sie ist ihrem Wesen nach eine virtuelle Wirklichkeit.

Dass unser Realitätserleben von Fiktion durchtränkt ist, ist aus unserer Sicht jedoch keinesfalls eine Einschränkung, vielmehr ist es unsere Rettung: Fiktion ist die einzige Lösung, ja, sie ist die Infusionslösung, an welcher der Mensch seit je her hängt und die sein Leiden an der unbeweglichen und unbegreiflichen Realität kuriert. Fiktion vermenschlicht die Realität, denn wenn die Grenzen zwischen Realität und Fiktion weich sind, dann eröffnen sich uns tausend Spielarten des Erlebens, dann ist unsere Wirklichkeit reich, bedeutsam und lebendig. Fiktion macht aus einer begrenzten Realität unsere unbegrenzte Wirklichkeit. Als Verleger und Autoren lassen wir daher die Hoffnung gerne fahren, eine irgendwie geartete Realität zu greifen – lieber feiern wir stattdessen die Trunkenheit der Realität mit dem Fiktiven.

Sprachlich leicht, scharf und präzise wie ein Skalpell auszuleuchten, wie der Mensch mit seiner offenen Wirklichkeit zurechtkommt, ist das Ziel unseres Verlags. Sei es mit Wortwetz oder Herzmassagen, mit Schocktherapie oder Dichtervisiten: Wir entfernen das Symptom literarisch-operativ – den illusorischen Halt, den der Mensch in der angeblichen Realität sucht. Wir durchtrennen das Gewebe dieser sogenannten Realität und legen den Blick auf die Eingeweide des Menschseins frei. Dabei suchen wir nicht etwa Antworten auf unser Dasein oder Sosein, im Gegenteil, wir wollen die menschliche Existenz von vorgefertigten Antworten entschlacken, aus einem stumpfen Realitätsverständnis herauspräparieren, von bezugslosem Wissen desinfizieren. Statt einer fixen Realitätsidee ziehen wir die offene Wunde vor – die Öffnung, die uns das Leben zufügt. Unsere Literatur versehrt, um das Menschsein offenzulegen: das Leiden und Jubilieren, die Grausamkeit, Widersprüchlichkeit und Lebendigkeit des Menschen im Versuch, Halt zu finden in seiner offenen Wirklichkeit.

Damit man uns nicht missversteht: Die sogenannte Realität ist uns bei weitem nicht gleichgültig – sie schonungslos zu schildern, ja so realistisch wie möglich, ist unser dringendstes Anliegen. Genau deshalb sprengen unsere Bücher die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, deshalb fliessen in ihnen die Erlebensdimensionen ineinander über. Gute Literatur kann paradoxerweise, was keine Wissenschaft kann: Das Menschsein realistisch erfassen. Denn Literatur untersucht das Menschsein mit jenem Instrument, mit dem der Mensch selbst funktioniert, lebt und ist – mit der Sprache. Die Sprache ist unser Zugang zu uns selbst. Als Verleger haben wir daher nicht nur den Anspruch, in unseren Büchern mit messerscharfer Sprache unsere menschliche Wirklichkeit freizulegen, sondern mehr noch, auch im Leser Erlebensdimensionen zu öffnen und seine eigene Wirklichkeit in Bewegung zu setzen. Wir haben den Anspruch, psychoaktive Literatur zu publizieren.

Skrupellos nüchtern schildern unsere Geschichten und Romane die wuchernden Illusionen des Menschen, die Abszesse seiner Seele, Fleischeslust und Höllentrips, Liebeshunger und Lebensmüdigkeit. Aber Achtung: Wir sind keine Misanthropen, ganz im Gegenteil, wir lieben den Menschen im Widerstand, aus Subversion gegen das Perfekte, das Voll-Ständige, das Sinn-Volle und Unversehrte, kurz, aus Ekel gegen das Nicht-Menschliche. Wir schreiben und publizieren aus Liebeswut zum Menschen: fordernd, unerschrocken und spielerisch – Literatur, dem Menschen aus dem Leib geschnitten. Und wir versprechen, das mit einer scharfsinnigen, schwebend leichten und stahldichten Sprache zu tun.